“Homo sapiens”

Eine etwas polemische Reflektion über den Homo sapiens und seine wenig weise Welt von Martin Garms, 2009.

Der “weise Mensch”, so die Übersetzung unseres selbstverliebten Gattungsnamens, nennt sich in seiner durchschnittlichen Erscheinungsform einen “Verbraucher”. Eine treffende Bezeichnung, denn während wir leben, verbrauchen wir Dinge. Tagtäglich. Zunehmend massenhaft, dank ständig steigendem Wirtschaftswachstum. Dinge, die wir aus dem Material dieses Planeten mithilfe unserer selbstausgedachten Maschinen und menschlichem Beitrag, Arbeit genannt, aus der uns geschenkten Natur her-stellen.
All die Menschen-Dinge werden nach dem rastlosen Verbrauchen zu Müll, der schon in kontinentgroßen Strudeln auf den Meeren unseres schönen blauen Planeten treibt und zu Abgasen, die unsere lebensfreundlich fein ausgewogene Atmosphäre ruinieren und aufheizen.

Unsere “hochintelligente” Spezies verbraucht also ihren Planeten, der uns geduldig in Jahrmillionen hat auf sich wachsen lassen, innerhalb von Jahrhunderten.

  • Weil die Evolution uns klug und mechanisch geschickt gemacht hat.
  • Weil wir gierig nach Genuss sind.
  • und mit strategischer Intelligenz begabt…

Eher beschränkter Intelligenz wohl allerdings, gemessen an sozial höherentwickelten Spezies wie z.B Ameisen, die uns auf diesem Planeten um das mehrfache an Biomasse übertreffen (von der Zahl gar nicht zu sprechen), aber im Gegensatz zu uns schon Millionen von Jahren hier erfolgreich und so nachhaltig leben, dass der Planet sogar von Ihrem Dasein profitiert.
Wir als Grünschnäbel im ökologischen Porzellanladen dagegen bräuchten bereits heute drei Erdplaneten, um unseren aktuellen Lebensstil auch nur für ein paar weitere Generationen durchhalten zu können.

Unsere geschwindigkeitsverliebte Spezies benutzt für ihre Entscheidungen zwar überaus klug konstruiertes Werkzeug, dessen Hochgeschwindigkeit massenhaft logischer Ja/Nein Entscheidungen schon in Mega-Hertz gemessen werden muss, ist aber bemerkenswert schnell überfordert beim tieferen Verstehen von natürlichen, d.h. interdependenten Sachverhalten, die mehr als zwei dynamische Variablen zur Beschreibung benötigen.
Ganz schwierig wird es für den “weisen Menschen” bei Netzwerken von Zusammenhängen, bei denen sich hunderte oder tausende von Variablen gegenseitig beeinflussen – dummerweise hat fast alles, was für Menschen wirklich wichtig ist, eine solche Charakteristik. Als da etwa wären: Natur, Gesundheit, Politik, unser eigener Geist, die Gesellschaft – vielleicht auch die Liebe?

Immerhin sind wir trotz jener Unvollkommenheiten mit Mitgefühl begabt, und viele spüren deshalb genau, dass etwas mit unserer Lebensweise nicht stimmt. Wir haben ein kollektiv schlechtes Gewissen. Wir verstehen, dass wir so nicht weitermachen dürfen, aber meinen, dass wir als Einzelwesen zu klein sind, um etwas zu ändern. Es wirkt so entmutigend nutzlos, wenn nur einer anders handelt!

Jemand, der uns als Außenstehender betrachtet, würde sagen: Ihr seid einfach kollektiv süchtig!
Eine globale Vereinigung der anonymen Worko- & Konsumoholiker sozusagen!
Ist denn Sucht nicht ein nach Glück suchendes Verhalten, das in der Realität selbstzerstörerisch ist, dennoch mit allen Mitteln fortgesetzt wird? Es ist davon gekennzeichnet, nach anfänglichem Genuss ständig die Dosis des Suchtstoffes erhöhen zu müssen, um auch nur leidensfrei zu bleiben? Kommt der Süchtige nicht von seinem Stoff los, ist der endgültige Zusammenbruch seines Organismus unausweichlich. Es braucht nicht viel Fantasie, um der Menschheit in ihrem Kollektivverhalten eben diese Diagnose zu bescheinigen.

Sie hat es geschafft, innerhalb weniger Jahrhunderte eine beeindruckende technische und gesellschaftliche Infrastruktur aufzubauen, die es einigen von uns ermöglicht, mit einem historischen Minimum eigener Mühe oder Wissen zehntausende Dinge zu besitzen und täglich zu “verbrauchen”.
Wir haben Unmengen früher für das Überleben notwendiger, harter Arbeit durch Technik überflüssig gemacht!
Glückwunsch – diese Erde müsste ein Paradies des Müßiggangs sein, blühend in Kultur, Genuss und Kreativität!
Wir versuchen ja auch redlich aus diesem Besitz und Verbrauch Glück zu schöpfen!
Wer sich aber mit offenen Augen in einer beliebigen Fußgängerzone umsieht, findet in den Gesichtern eine Menge Hinweise, dass dieses Unterfangen nicht so recht klappen will! Uns ist leider kollektiv bis jetzt – trotz eifriger Experimente – noch keine bessere Lösung eingefallen.
“Arbeit” nennen wir heute unseren Micro-Beitrag zu der der großen Dinge-Erzeugungsmaschine, “Geld” unsere Tausch-Gutschrift um unseren Anteil ihrer Früchte be-sitzen und ver-brauchen zu dürfen.

Wer “Arbeit” hat, hat “Geld” und kann überleben…
Arbeits-losigkeit wurde so das Angstgespenst unserer Epoche.
Seltsamerweise fliesst gleichzeitig enormer Geld- und Materialaufwand in das fortlaufend optimierte Bemühen, auch die noch verbliebene Restarbeit zu automatisieren. Das ist wahrlich weise…

Wir haben im Kommunismus kollektiv mal eine Zeitlang versucht, dass einfach alles allen gehört, aber es hat irgendwie nicht geklappt – keiner hatte mehr Lust, etwas Schwieriges zu tun, wenn alle anderen mitprofitieren. Selbst mit diktatorischem Zwang zum “freiwilligen” Abgeben, Umerziehungslagern, Geheimdiensten, Beschattungen und Reise- und Denkverboten klappte es nicht. Etwas in der menschlichen Natur braucht scheinbar leider, leider den direkten Eigenutz als Antrieb?

Also Kapitalismus… das klappt schon besser – der selbstmotivierte Vor- und Antrieb funktioniert immerhin beeindruckend, zumindest eine Zeitlang. (Leider scheint dieses System eine Neigung zum zyklischen Zusammenbrechen zu haben, bevorzugt durch Kriege und Wirtschaftskrisen).
Ein weiterer Nachteil dieses Systems: Bestimmte Menschen, die sich der Mechnismen der schwer durchblickbaren Wirtschafts- und Geldmaschine auf besonders kluge Weise zu bedienen gelernt haben, bekommen seltsamerweise Tausch-Gutschriften (Miete, Zinsen und Dividenden), ganz ohne zu arbeiten!
Deren Anteile müssen natürlich andere erarbeiten – nichts entsteht ja von selbst. Damit das auch weiterhin funktioniert, und auch zukünftig noch Spass macht, muss jedes Jahr mehr hergestellt werden, denn Genuss verfliegt leider schnell, besonders, wenn man nicht dafür gearbeitet hat!
Außerdem arbeiten wir vermeintlich weisen Menschen mit einem wirtschaftlich-monetären Betriebsystem, das einen (bewussten?) Programmierfehler hat: es erzwingt durch seine mathematische Konstruktion ein ständiges Wachsen der Geldmenge, und es bewirkt durch die eingebauten Mechanismen Zins und Inflation, dass der enorme Gewinn aus Automation, Arbeitskraft- und Umweltausbeutung automatisch und diskret nur einer kleinen, privilegierten Schicht zugute kommt. Etwa 90% zahlen täglich zugunsten der restlichen 10%.
Diese eingebaute Umverteilung von fleissig zu reich macht lt. der Geldsystemspezialistin Margrid Kennedy allein in Deutschland täglich 600 Mio. EUR aus. Für den normalen Wirtschaftsteilnehmer und “Verbraucher” liegt die goldene Zukunft des freieren und besseren Lebens also immer in der Zukunft, was fatal an den berühmten Esel mit der Möhre erinnert…

So entsteht ein suchtartiger Zwang zum immer mehr… gespeist von einem nicht reflektierten Wirtschafts-und Geldsystem, das – genau besehen -erstaunlich viele Charakteristika mit irrationalen Glaubenssystemen teilt, auf deren Überwindung wir modernen Bildungsbürger seit der Zeit der Aufklärung so stolz sind.

Schnell entstand an der durch die Aufräumarbeiten der Aufklärung verwaisten Stelle ein neuer, recht eigenwilliger “Gott”: das Wirtschaftswachstum, das, lebenswichtig und unsichtbar, sich von einer mysteriösen Größe nährt, die man Konjunktur nennt: Niemand versteht so ganz exakt, worum es sich handelt, aber es muss sich um eine Art schlecht konstruierten Verbrennungsmotor handeln (Motoren liegen unserer Spezies irgendwie im Blut).
Wesensgemäß stottert dieses Herz unserer Gesellschaft in regelmäßigen Abständen und muss dann mit besonderen Anstrengungen “angekurbelt” werden (eine Art schamanischer Beschwörungstechnik, der Name stammt nicht zufällig aus den Anfangstagen der Automobilindustrie).
Er läuft – seinem Mythos zufolge – nur dann wirklich kraftvoll, wenn er jedes Jahr schneller läuft und mehr Treibstoff verschlingt – wahrlich ein Glaube, den nur eine hochentwickelte menschliche Intelligenz erschaffen konnte!
Investitionen in soziale oder ökologisch wertvolle, aber ansonsten “unproduktive” Gesellschaftsbereiche (oder auch nur Verhandlungen darüber) sind dem Mythos zufolge Gift für seine Laufruhe und würgen ihn in Windeseile ab.
Es ist in der Tat ein sensibler und eifersüchtiger Gott – vor seinem Altar müssen regelmäßig  sekundäre, veraltete Werte wie Gesundheit, Bildung, intakte Natur, Familie, innerer und äußerer Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit niederknien und schmerzhafte Opfer durch Selbstbeschneidung bringen, sonst droht er sofort an Umdrehungszahlen zu verlieren – und damit unser aller Existenz zu gefährden!

Es ist faszinierend und deprimierend, wir glauben trotz aller uns selbst zugeschriebener Intelligenz als Homo sapiens sapiens verzweifelt an die Alternativlosigkeit dieses Systems, das  erzeugen soll, was wir zu einem guten Leben brauchen, und uns in der gelebten Realität stattdessen atemlos, gestresst und voller Unfrieden und Angst zurücklässt.
Seit dem ökologischen Bewusstseinswandel wird dieser traurige Seinszustand noch ergänzt durch ein nagendes Schuldbewusstsein, unseren Wohnplatz im Universum für uns und unsere Kinder sehenden Auges unbewohnbar zu machen.

Wir haben dieses System kollektiv geschaffen, optimieren und reparieren es mit Hingabe, viel Geld, Zeit  und Aufmerksamkeit, opfern ihm unser halbes oder ganzes Leben, aber wir benutzen unsere “Weisheit/Klugheit” nicht ernsthaft für eine Analyse, warum es einfach nicht richtig funktionieren will?
Vielleicht suchen wir den Fehler an der falschen Stelle? Oder auf die falsche Art?

Ist möglicherweise eine neue Aufklärung, ein neues Bewusstsein nötig?

Einer der Gründe, weshalb wir einen befreienden Überblick nicht gewinnen, ist unsere Neigung, im komplizierten Netzwerk des Geschehens zur Vereinfachung der Sache Schuldige zu suchen und zu finden. Um diese dann mit Verve anzuklagen – und in der Folge untätig bleiben zu können – schließlich liegt es ja an denen da!
Das funktioniert in alle beliebigen Richtungen:

  • Für den Steine werfenden Autonomen ist es der Staat, vertreten durch die Polizei.
  • Für die Linken sind es die Rechten und umgekehrt.
  • Für den Unternehmer ist es der Staat, vertreten durch den Finanzbeamten oder die Politiker.
  • Oder die Gewerkschafter, die die Arbeitenden vertreten.
  • Für manche Politiker oder Aktivisten sind es die unverantwortlichen, gierigen Unternehmer.
  • Für den Verbraucher sind es die anonymen Großkonzerne, die die Umwelt verschmutzen.
  • Für die Autoindustrie ist es der Verbraucher, der keine Ökoautos nachfragt.
  • Für die Philosophen der mediale Ungeist.
  • Für die einfachen Gemüter allgemein die Großkopferten da oben.

Wie gesagt, 2 Variablen schafft der durchschnittliche Homo sapiens im allgemeinen problemlos. Ich gut – Du böse. Kaum jemandem gelingt es scheinbar, zwei Schritte zurückzutreten, um das ganze Bild, die gegenseitigen Verknüpfungen,  Abhängigkeiten und unreflektierten Überzeugungen in den Blick zu nehmen.

Jeder dreht so mit beschränkter Perspektive und Haftung nach Kräften an den Stellschrauben, die aufgrund seiner sozialen Position für ihn sichtbar und erreichbar sind. Aus der Summe der unkoordinierten Kräfte, mit denen jeder seinen persönlichen Vorteil sucht, entsteht und lebt, unterbrochen von gelegentlichen katastrophalen Zusammenbrüchen wie Kriegen und Wirtschaftskrisen (warum nur?), unsere aktuelle Gesellschafts- und Wirtschaftsform des 20sten und 21sten Jahrhunderts in all ihrer erschreckenden Unvollkommenheit.

Passend zum oben beschriebenen Götzenbild der Wachstumsreligion gibt es eine Art Kult- und Glaubensgemeinschaft, die das Mantra “Der freie Markt regelt es automatisch optimal für alle Beteiligten” zu Ihrem Bekenntnis erhoben hat. Wie in früheren Zeiten einer flachen Erde, über die der aufgeklärte Mensch von heute den Kopf schüttelt,  frönt ein maßgeblicher Teil der gesellschaftlichen Akteure trotz täglichem Gegenbeweis einer durch die Wirklichkeit längst widerlegten Weltanschauung.

Mit der Basisausstattung eines 2 Variablen-Verstandes lebt es sich so am entspanntesten. Stimmt die Prognose nicht mit der Wirklichkeit überein, lässt sich doch in aller Regel ein Schuldiger identifizieren … und feststellen, dass ich als Einzelner sowieso nichts ändern kann.

Meine geneigten Leser finden meine Beschreibung möglicherweise doch etwas übertrieben? Lehnen Sie sich zurück, und geniessen Sie hier das märchenhafte Szenario, medial leicht verständlich aufbereitet, nochmals in einfachen Bildern (Quelle: Utopia.de):


Story of Stuff – German from UTOPIA AG on Vimeo.


Diese Seite ist entstanden aus der Begeisterung einer Gruppe von Menschen, die eine andere Welt vor ihrem inneren Auge sehen, sie in verschiedenen Aspekten bereits leben, die den alten Glaubensätzen nicht länger anhängen können und eine große Sehnsucht und Entschlossenheit spüren, mit der “Anderen Welt, von der unsere Herzen wissen” einfach schon mal anzufangen. Und zwar gemeinsam.

Wir sammeln dazu auf dieser Seite die vielversprechendsten Ansätze, Ideen, Projekte und Initiativen, die uns befähigen können aus der “selbstverschuldeten Unmündigkeit” (Kant) des passiven Konsumbürgers heraustreten zu können und Beiträge zu leisten zu einer Welt, in der auch unsere Kinder und Enkel noch glücklich leben können.
Und wir mit dem Gedanken, was sie dereinst von uns halten mögen.

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